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Plörre

16/10/2011

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Heute

Das Zimmer ist karg möbliert. In der einen Ecke eine Matratze, mit dem Kopfende zur Heizung. Hier liege ich und atme Staub. Es ist Herbst. Auf dem Dielenboden daneben, meine Kaffeetasse. Ich nehme den letzten Schluck, dünn und bitter. Einen Schreibtisch habe ich vor zwei Wochen aus den zur Nutzlosigkeit verdammten Restbeständen meines Jugendzimmers gerettet. Seit einer Woche steht er unter dem einzigen Fenster des Raumes. Trotzdem sieht er traurig aus. Unter ihm kauert mein Hündchen, die kurzen Hinterbeine wie Schwimmflossen von sich gestreckt, und piselt. „Nein“, krächze ich, richte mich auf und begrüße meinen Kater. Mein Atem riecht nach Wodka. „Nein, nein, böser Hund.“ Er schaut in die andere Richtung und piselt weiter. So richtig kaufe ich mir das ja auch nicht ab.

Ich stehe auf, nehme die Kaffeetasse in die rechte Hand, fülle sie zu einem Drittel mit löslichem Kaffee. Ich habe nur diese eine Tasse. Am Boden hat sich bereits eine trockene, braune Kruste gebildet. Während auf dem Herd das Wasser kocht, wische ich mit einem alten Lappen die Pfütze unter dem Schreibtisch weg. Zu keinem höheren Gedanken in der Lage, überlege ich, warum fast alle geläufigen Wörter für „Wasser lassen“ mit P beginnen. PISELN. PULLERN. PINKELN. PISSEN. Dieser Gedanke piselt mir förmlich in meine Hirnwindungen. P ist sowieso ein echt blöder Buchstabe. PROSTATA, fällt mir noch ein und ich muss etwas lachen.
Mein Hündchen wedelt mit dem Schwanz und tanzt um mich herum. „Böse, böse“, fluche ich leise und meine damit eigentlich die Uhr, die dreiviertel zwei anzeigt.

Gestern

Mein Hündchen wedelt mit dem Schwanz, als ich ihn um kurz vor Mitternacht verlasse. Es ist erst zehn Wochen alt und kann sich nicht vorstellen, dass es die nächsten Stunden ohne mich wird überstehen müssen. Eigentlich kann es sich nicht mal vorstellen, dass es die dreißig Sekunden, die ich auf Toilette verbringe, ohne mich verbringen muss. Aus Verlustangst oder aus Loyalität piselt es vor die Badezimmertür und ringt mir so noch fünf Minuten meiner Gesellschaft ab. Ich trage ein weißes Hemd mit schwarzer Krawatte (trés chic!) und wische Hundepisse auf (trashig.). Hündchen schaut mir dabei zu, ich schimpfe nicht. Versteht es ja doch nicht.
Einen jungen Hund soll man noch nicht lange allein lassen, rät jeder Welpenratgeber. Hündchen hat noch nie einen Welpenratgeber gelesen und weiß davon nichts. Es legt sich in den Schmutzwäschekorb und weint. Keine zwei Minuten später bermerkt es, dass ihm nun niemand mehr verbieten kann, im Bett zu liegen und hört auf zu weinen. PUTSCH, denkt es jagt auf meinem Kopfkissen seinen eigenen Schwanz, wie es Hunden mit unerfülltem Spieltrieb gefällt. Für Menschen mit unerfülltem Spieltrieb hat man Kreisverkehre erfunden, davon weiß Hündchen jedoch nichts.
Die alte Frau Drewes aus der Wohnung unten drunter hatte mal einen Hund, der hieß Flocki. Flocki sah ungefähr so aus wie das Hündchen und weil es das weiß, bellt es nachts hin und wieder – Frau Drewes wird sich darüber freuen. Auch das Hündchen freut sich, aber weil Frau Drewes nicht zurückbellt, verliert es nach einiger Zeit die Lust an seiner freundlichen Geste.

Es vergehen Stunden, in denen das Hündchen schläft, hie und da piselt, sich ausführlich Pfoten und Weichteile leckt, sämtlicher Schmutz vom Boden den Weg in seinen Verdauungstrakt gefunden hat. POPEL, denkt es und schluckt, als sich schließlich ein Geräusch an der Wohnungstür ausmachen lässt. Große Freude, das Hündchen springt durch den Raum, traut sich noch nicht zu bellen – es könnte die alte Frau Drewes sein und die wollte es nach ihrer nächtlichen Schweigsamkeit erstmal etwas zappeln lassen, bevor es ihr mit Freudenküssen verzeiht – aber naja, es freut sich halt so, sieht die leere Kaffeetasse neben dem Bett, piselt vor Freude rein. Es will nun, beinahe von seiner Einsamkeit erlöst, schließlich nicht so gemein sein und nochmal den nackten Dielenboden beschmutzen. Außerdem weiß es schon selbst kaum noch, wohin es treten soll. PFUeTZE. PFUeTZE. Ueberall. Egal, ich betrete den Raum, schimpfe doch nicht, bin ja auch viel zu betrunken. Hündchen springt und hüpft, PURZELBAUM, quiekt, hat selbst schon nicht mehr geglaubt, dass ich zurückkomme. Hat schon verzweifelt probiert, seine Urinstinkte zu reaktivieren, als wilder Wolf in der Großstadt zu überleben, musste selbst ein bisschen lachen. Dafür erstmal das lächerliche rote Halstuch zerbeißen, mit der Glaubwürdigkeit fängt's nämlich an. Ich trage das Hündchen auf dem Arm die Treppen runter und gehe nochmal mit ihm vor die Tür. Natürlich piselt es. Es piselt und freut sich, als ich es ausschweifend lobe.
„Fein! Fein!“, hauche ich ihm zu und mein Atem erzählt Kneipengeschichten.
Punkt sieben Uhr, zurück in der Wohnung. Ich lege mich komplett bekleidet auf die Matratze, stelle die Kaffeetasse etwas zur Seite. Warme PLOeRRE, flüstere ich, als das Hündchen schon schläft.
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YULIAN I∙DE

Journalist, Kolumnist & Korrespondent
Niederlandist, Linguist & Literaturwissenschaftler
Presse-, Marketing- & Veranstaltungsreferent
Netzwerke in den Kulturbranchen in Deutschland und den Niederlanden & Flandern
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